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Kirchengericht:Verwaltungsgericht der Evangelischen Landeskirche in Württemberg
Entscheidungsform:Beschluss
Datum:18.06.2004
Aktenzeichen:VG 05/04
Rechtsgrundlage:§ 38 KVwGG; § 59 Abs. 3 Württ. Pfarrergesetz
Vorinstanzen:keine
Schlagworte:Eilrechtsschutz, aufschiebende Wirkung, Entziehung eines Dienstauftrages im Wartestand, Widerrufsvorbehalt

Leitsatz

und Beschluss des Verwaltungsgerichts
der Evangelischen Landeskirche in Württemberg
vom 18. Juni 2004

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Leitsatz:

  1. Anordnung der sofortigen Vollziehung durch den Oberkirchenrat als Widerspruchsbehörde.
  2. Widerrufsvorbehalt als Rechtsgrundlage für eine durch Verwaltungsakt erfolgte Entziehung eines Dienstauftrages.
  3. Zur Ausübung des Widerrufsermessens.
  4. Zweck des Widerrufsvorbehalts nach § 59 Abs. 3 Württ. Pfarrergesetz.
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Az: VG 05/04
In der Verwaltungsrechtssache
Pfarrerin ...
- Antragsstellerin -
gegen
die Evangelische Landeskirche in Württemberg,
vertr. durch den Oberkirchenrat,
dieser vertr. d. d. Direktorin im Oberkirchenrat,
Frau Oberkirchenrätin Rupp,
Gänsheidestraße 4, 70184 Stuttgart
- Antragsgegnerin -
wegen
Entzug eines Dienstauftrages
hier: Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung
hat das Verwaltungsgericht der Evangelischen Landeskirche in Württemberg durch
den Richter am Verwaltungsgericht Dipl.-Theol. Rainer E. Müller als Vorsitzenden
den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Dieter Eiche als Mitglied mit der Befähigung zum Richteramt
die Pfarrerin Erika Schlatter als ordiniertes Mitglied
den Pfarrer Christian Kohler als ordiniertes Mitglied
den Rechtsanwalt Dr. Dieter Deuschle als nichtordiniertes Mitglied
am 18. Juni 2004 beschlossen:
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Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
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Gründe:

I.
Die Antragstellerin ist seit 1. Oktober 1999 Pfarrerin im Wartestand. Mit Wirkung vom selben Tag wurde sie gemäß § 59 Abs. 3 Pfarrergesetz „widerruflich mit einem auf die Hälfte eingeschränkten Dienstauftrag beauftragt“. Als Inhalt des Dienstauftrags wurde bestimmt: „Vertretungsdienste im Kirchenbezirk Stuttgart in Absprache mit Herrn Dekan E., bei dem die unmittelbare Dienstaufsicht liegt“.
Nachdem der Umfang des Dienstauftrags der Antragstellerin in wechselnden Vereinbarungen anlässlich von Dienstgesprächen im Dekanatamt festgelegt worden war, teilte der Dekan der Antragstellerin schließlich mit Schreiben vom 4. Dezember 2001 mit: „Sie erhalten den Bereich der Evangelischen Kirchengemeinde als eigene Parochie für die Zeit ihrer widerruflichen Beauftragung übertragen. Dies geschieht so, dass Herr H. die Zuständigkeit für diese Parochie aus seinem Zuständigkeitsbereich an sie delegiert. Damit verbunden ist das Stimmrecht im Kirchengemeinderat. Dieses Verfahren wird hiermit vom Dekanatamt genehmigt.
Mit Schreiben vom 4. Januar 2004 entzog der Dekan der Antragstellerin „nach Ablauf Ihres Urlaubs ab dem 6. Januar 2004 bis auf weiteres den Dienstauftrag, der unterstützend und vertretend pfarramtliche Dienste in der Zuständigkeit vom Pfarrer H. (Protokoll vom 07. Februar 2000) umfasste mit dem Schwerpunkt der Pastoration in der Kirchengemeinde S. Das Deputat der Antragstellerin im Religionsunterricht blieb davon unberührt.
Mit Schreiben Ihres damaligen Verfahrensbevollmächtigten vom 15. Januar 2004, eingegangen beim Dekanatamt Stuttgart am 16. Januar 2004, ließ die Antragstellerin erklären, sie sei mit dieser Entscheidung nicht einverstanden und widerspreche dieser Entscheidung.
Mit Schreiben vom 27. Februar 2004 hörte der Dekan von S. die Antragstellerin zur „geplanten Änderung des Dienstauftrages (Entzug der Tätigkeit in B. und Übertragung von Vertretungsdiensten auf der zweiten Pfarrstelle …) an“.
Das Verwaltungsgericht der Evangelischen Landeskirche in Württemberg stellte mit Beschluss vom 19. März 2004 auf Antrag der Antragsstellerin fest, dass der Widerspruch der Antragstellerin gegen die Verfügung des Dekans von S. vom 4. Januar 2004 aufschiebende Wirkung hat (AZ VG 02/04).
Am 22. März 2004 ordnete der Oberkirchenrat als Widerspruchsbehörde „bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über die Verfügung (des Dekans E. vom 4. Januar 2004) in der Gestalt des unter Berücksichtigung Ihres bisherigen Vorbringens noch zu erlassenden Widerspruchsbescheids des Oberkirchenrats deren sofortige Vollziehung an.“
Am 24. März 2004 hat die Antragstellerin erneut um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht und zunächst beantragt, den Sofortvollzug der Verfügung von Dekan E. vom 4. Januar 2004 aufzuheben.
Mit Widerspruchsbescheid vom 5. Mai 2004 wies der Oberkirchenrat den Widerspruch gegen die Verfügung vom 4. Januar 2004 zurück (Ziffer 1) und übertrug ergänzend der Antragstellerin im Rahmen ihres Wartestandsdienstauftrages ab 10. Mai 2004 Vertretungsdienste in der …Gemeinde in Stuttgart (Ziffer 2). Weiter wurde unter Ziffer 3 bestimmt, die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Verfügung vom 4. Januar 2004 bleibe aufrecht erhalten, hinsichtlich Ziffer 2 dieses Widerspruchsbescheids werde die sofortige Vollziehung angeordnet.
Am 2. Juni 2004 hat die Antragstellerin daraufhin ihren Antrag an das Verwaltungsgericht der Evangelischen Landeskirche in Württemberg erweitert und erklärt, sie beantrage nicht nur die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Entzug des Dienstauftrags in B. vom 4. Januar 2004, sondern vorsorglich auch gegen die mit Sofortvollzug verbundene Zuweisung eines neuen Dienstauftrags in der …-Gemeinde in Stuttgart.
Ebenfalls am 2. Juni 2004 hat die Klägerin in dieser Sache Klage erhoben, über die noch nicht entschieden ist (VG 11/04).
II.
Der sinngemäß gestellte Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Verfügung des Dekans von S. vom 4. Januar 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Oberkirchenrats vom 22. März 2004 wiederherzustellen, ist gemäß § 38 Abs. 5 KVwGG zulässig, aber nicht begründet.
Die sofortige Vollziehung der Verfügung vom 4. Januar 2004 ist formell rechtsfehlerfrei angeordnet worden. Der Oberkirchenrat war als Widerspruchsbehörde gemäß § 38 Abs. 2 Ziff. 2 KVwGG als Dienststelle, die über den Widerspruch zu entscheiden hat, für die Anordnung zuständig. Die Anordnung ist gemäß § 38 Abs. 2 Ziff. 2 KVwGG mit Schreiben vom 22. März 2004 besonders angeordnet und im Übrigen unter Ziffer 3 des Widerspruchsbescheids vom 5. Mai 2004 ausdrücklich aufrecht erhalten worden. Schließlich ist das aus der Sicht des Oberkirchenrats bestehende besondere kirchliche Interesse an der sofortigen Vollziehung gemäß § 38 Abs. 3 KVwGG schriftlich begründet worden.
Gemäß § 38 Abs. 5 KVwGG kann das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs ganz oder teilweise wiederherstellen, wenn die sofortige Vollziehung des Verwaltungsaktes gemäß § 38 Abs. 2 Nr. 2 KVwGG im kirchlichen Interesse besonders angeordnet worden ist. Bei der vom Gericht zu treffenden eigenen Ermessensentscheidung ist das kirchliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes gegen das Individualinteresse der Antragstellerin, zunächst von den Rechtsfolgen der Verfügung verschont zu bleiben, abzuwägen. Dabei sind die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs, dessen aufschiebende Wirkung wiederhergestellt werden soll, ein wesentliches Kriterium. Erweist sich der Rechtsbehelf bei der im vorliegenden Eilverfahren allein möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage als wahrscheinlich erfolgreich, so wird auch dem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zu entsprechen sein. Erweist er sich hingegen als wahrscheinlich aussichtslos, so ist darüber hinaus zu prüfen, ob ein besonderes kirchliches Interesse am sofortigen Vollzug besteht.
Nach diesen Grundsätzen ist der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage abzulehnen, da diese nach derzeitiger Beurteilung des Gerichts mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erfolglos bleiben dürfte und darüber hinaus ein besonderes Interesse an der sofortigen Vollziehung der Verfügung besteht.
Gegenstand der Anfechtungsklage ist gemäß § 37 Abs. 1 Ziff. 1 KVwGG der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat. In dieser Gestalt dürfte der Entzug des Dienstauftrages die Antragstellerin nicht in ihren Rechten verletzen (§ 78 Abs. 1 KVwGG).
Der Entzug des Dienstauftrages in der Kirchengemeinde S. findet seine Rechtsgrundlage im Widerrufsvorbehalt, der auf der Grundlage von § 59 Abs. 3 Württ. Pfarrergesetz der Erteilung der Dienstaufträge jeweils beigefügt war.
Beachtliche Fehler formeller Art, die nach dem Widerspruchsbescheid des Oberkirchenrats noch zur Aufhebung der Entzugsverfügung führen könnten, sind nicht ersichtlich, insbesondere ist die Antragstellerin vor Erlass des Widerspruchsbescheides angehört worden.
Die Verfügung in der Gestalt des Widerspruchsbescheides dürfte sich aber auch materiell als rechtmäßig erweisen.
Der Widerruf des Dienstauftrages in der Evangelischen Kirchengemeinde S. ist gemäß § 59 Abs. 3 Württ. Pfarrergesetz an keine weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen gebunden, sondern in das grundsätzlich freie Widerrufsermessen des Dienstherren gestellt. Insoweit unterscheidet sich der Rechtsstatus der Antragstellerin vom Status einer Gemeindepfarrerin; ihr ist zwar der Bereich der Evangelischen Kirchengemeinde S. als eigene Parochie übertragen worden, jedoch nur für die Zeit ihrer widerruflichen Beauftragung,
Die Ermessensentscheidung der Antragsgegnerin ist gemäß § 79 KVwGG vom Gericht daraufhin zu überprüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessen überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Solche Ermessensfehler vermag das Gericht nicht zu erkennen.
Die Antragsgegnerin hat zunächst erkannt, dass sie überhaupt Ermessen auszuüben hatte.
Die angegriffene Entscheidung hält sich auch im Rahmen der vom Gesetz gegebenen Ermächtigung.
§ 59 Abs. 3 Württ. Pfarrergesetz dient vorrangig dem Interesse des Dienstgebers, einen – trotz Verlust der Pfarrstelle weiter zu alimentierenden – Pfarrer oder Pfarrerin im Wartestand anderweitig für kirchliche Aufgaben zu verwenden (vgl. hierzu Verwaltungskammer der Evangelischen Kirche von Westfalen, Urteil vom 5. Juni 2002 – VK 14/01 –, in: Rechtssprechungsbeilage 2003 zum Amtsblatt der Evangelischen Kirche in Deutschland, Seite 14). Bei der Entscheidung sind allerdings auch die Interessen der Antragstellerin, insbesondere Fürsorgegesichtspunkte, zu berücksichtigen. Soweit die Antragstellerin sich darüber hinaus auf kirchengemeindliche Interessen beruft, macht sie jedoch keine eigenen rechtlich geschützten Interessen geltend.
Die Antragsgegnerin hat keine willkürliche Entscheidung getroffen, sondern dürfte ohne Rechtsfehler einen sachlichen Grund darin erblickt haben, dass die Tätigkeit der Antragstellerin in der Kirchengemeinde B. vor Ort gerade auch außerhalb des Kirchengemeinderates die Meinung aufkommen ließ, es bestehe noch eine Pfarrstelle in B., die sich – womöglich mit der Antragstellerin – neu besetzen lasse. Im Widerspruchsbescheid wird ausdrücklich ausgeführt, unabhängig davon, inwieweit die Antragstellerin zu der entstanden Situation selbst beigetragen habe, erfolge die Verfügung vor allem deshalb, um weiterer Unruhe oder einer Verfestigung dieser Situation vorzubeugen. Damit bleibt die Antragsgegnerin innerhalb des ihr zustehenden Ermessensspielraums. Denn sie hat grundsätzlich in eigener Verantwortung das kirchliche Interesse zu bestimmen, ohne dass das Gericht diese Bestimmung, sofern sie nicht willkürlich und ohne Tatsachengrundlage erfolgt, durch eigene Wertungen ersetzen könnte.
Auch die Belange der Antragstellerin wurden hinreichend berücksichtigt. Die Antragsgegnerin hat beachtet, dass die Antragstellerin den Verbleib in einer Gemeinde und zwar aus familiären Gründen offenbar nach wie vor im Großraum Stuttgart anstrebte. Auch sollte eine Verabschiedung in B. grundsätzlich durchaus ermöglicht werden. Die von der Antragstellerin geltend gemachten Nachteile, insbesondere, dass diese ihre Pfarrstellenbewerbungen in der ablaufenden Wartezeit nicht mehr aus ihrer Tätigkeit in der Kirchengemeinde B. heraus durchführen kann, sind einerseits zur Durchsetzung des kirchlichen Interesses unvermeidlich, und das Gericht vermag andererseits nicht zu erkennen, dass dadurch die Interessen der Antragstellerin in unverhältnismäßiger und die Fürsorgepflicht verletzender Weise gegenüber dem vorrangigen, von der Antragsgegnerin zu bestimmenden kirchlichen Interesse zurückgestellt werden.
Nach allem dürfte sich die angefochtene Verfügung im Klageverfahren als rechtmäßig erweisen. Bei dieser Sachlage besteht auch ein besonders kirchliches Interesse an der sofortigen Vollziehung. Hierfür ist entscheidend, dass an einer raschen Auflösung der Spannungssituation in der Kirchengemeinde B. ein dringendes kirchliches Interesse besteht.
Die Antragstellerin hat zwar auch die inzwischen erfolgte Zuweisung eines neuen Dienstauftrages in der P.-Gemeinde in Stuttgart angegriffen. Zu einer eingehenden Überprüfung dieser Zuweisung im hier zu entscheidenden vorläufigen Rechtsschutzverfahren besteht jedoch kein Anlass, da die Antragstellerin diese Zuweisung ausdrücklich nur „vorsorglich“ angegriffen hat, um für den Fall eines Erfolges ihres vorläufigen Rechtsschutzverfahrens gegen den Entzug des Dienstauftrags in Stuttgart – B. mögliche Hindernisse zu beseitigen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 89 Abs. 1 KVwGG.
gez. Müller
VRaVG Eiche ist wegen
Urlaubs verhindert zu unterschreiben
gez. Müller
gez. Schlatter
gez. Kohler
gez. Dr. Deuschle